- Kinder- und Jugendliteratur.
- Kinder- und Jugendliteratur.Zur K.- und J. zählen alle Texte und Bilder, die einen Erlebnis- oder Belehrungseinfluss auf Kinder- und Jugendliche entfalten sollen. Die K.- und J. hat sowohl eine sozialpsychologische als auch eine individuell konfliktpsychologische Funktion; sie ist ein wesentliches Mittel des Sich-in-die-Welt-Findens und des Sichablösens von den entwicklungsbedingt durchmessenen Bindungen. Das Verstehen von Texten und Bildern der Kinder- und Jugendliteratur basiert auf den für die verschiedenen Altersstufen im Vordergrund stehenden Funktionen: 1) Selbstbestätigung durch Vertrautwerden mit dem eigenen Selbst und der Umwelt; 2) Bewältigung von Ablösungskonflikten der Kindheit; 3) Verhaltensbelehrung, v. a. durch Sachtexte und Sachbilder; 4) Identifikation mit und kritische Teilnahme an einer mittels der Kinder- und Jugendliteratur näher gebrachten Wirklichkeit.Innerhalb der seit dem 15. Jahrhundert entstandenen Frühformen einer spezifischen Kinder- und Jugendliteratur überwogen die streng den Zwecken der religiösen, schulischen und gesellschaftlichen Bildung und Erziehung untergeordneten Werke gegenüber einer belehrend-unterhaltenden Spielart, etwa Fabeln, Tierepen und Schwankbücher. Wesentliche Veränderungen zeichneten sich in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts ab: Während J. A. Comenius mit seinem »Orbis sensualium pictus« (1658) das Modell für das belehrende Sachbilderbuch vorlegte, erschien mit C. Perraults »Histoires ou Contes du temps passé« (1697) die erste europäische Märchensammlung, in der bereits die meisten der geläufigen Figuren und Motive enthalten sind; F. Fénelon schuf mit »Les aventures de Télémaque. ..« (1699, 3 Bände) ein bedeutsames Vorbild der Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärung. Angeregt durch die pädagogischen Auffassungen von J. Locke, J.-J. Rousseau und Philanthropen wie J. B. Basedow, J. H. Campe und F. E. von Rochow (* 1734, ✝ 1805), entwickelte sich die Kinder- und Jugendliteratur gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einem eigenständigen literarischen Sektor. Neben den »Contes de fées« besonders der Jeanne Marie Leprince de Beaumont (* 1711, ✝ 1780, »La belle et la bête«) und traditionellen didaktischen Genres wie den Sittenlehren waren in der Epoche der Aufklärung v. a. die als Unterrichts- und Nachschlagewerke gedachten Elementarbücher (Basedow; F. J. Bertuch, »Bilderbuch für Kinder«, 231 Hefte, 1790-1830; C. G. Salzmann) sowie Robinsonaden in der Art von D. Defoes »Robinson Crusoe« (1719) verbreitet. Unter den Letzteren ragt Campes »Robinson der Jüngere« (1779/80, 2 Teile) hervor, der zum Vorbild für eine ganze Reihe von im 18. und 19. Jahrhundert aus anderen europäischen Sprachen übersetzten und speziell für Jugendliche umgearbeiteten Werken der Weltliteratur wurde (u. a. von Cervantes, J. Swift, H. Melville, J. F. Cooper, W. Scott, R. L. Stevenson). An den Anfängen des Kinderschauspiels wie auch des Kinderpressewesens steht u. a. C. F. Weisse mit knapp 40 Theaterstücken für Kinder und der Zeitschrift »Der Kinderfreund« (1776-82). Der moralisch und sachlich belehrenden Kinder- und Jugendliteratur unterhaltsamer Prägung, wie sie die bürgerliche Aufklärung hervorgebracht hatte, setzten die Romantiker ein anderes Konzept entgegen. Aufbauend auf J. G. Herders Schriften und Sammlungen, wandten sie sich der volksliterarischen Überlieferung zu. Novalis erhob das Märchen zum »Kanon der Poesie«. Sage, Legende, Volksmärchen, volkstümlicher Kinderreim, Volksbuch und Puppenspiel wurden erforscht, gesammelt und schriftlich fixiert. Zu den großen Leistungen zählen v. a. die Liedsammlung »Des Knaben Wunderhorn« von A. von Arnim und C. Brentano sowie die »Kinder- und Hausmärchen« von J. und W. Grimm, die wie die Märchen-, Sagen- und Volksbuchsammlungen von L. Bechstein, K. Simrock und G. Schwab der Kinder- und Jugendliteratur reiche Quellen erschlossen. Das Kunstmärchen erhielt wesentliche Impulse durch L. Tieck, C. Brentano und E. T. A. Hoffmann; W. Hauff verarbeitete die orientalischen Elemente, die durch die »Märchen aus 1001 Nacht« in Europa bekannt geworden waren; internationale Einflüsse sind auch in den Märchen H. C. Andersens sichtbar, die bald nach ihrem Erscheinen (seit 1835) ins Deutsche übersetzt wurden. Wesentliche Anregungen erfuhr die deutsche Kinder- und Jugendliteratur auch durch andere Übersetzungen, die wie C. Dickens (»Oliver Twist«, 3 Bände, 1838), Harriet Beecher Stowe (»Uncle Tom's cabin«, 1852), Mark Twain (»The adventures of Tom Sawyer«, 1876) und R. Kipling (»Jungle book«, 1894) sowie J. Verne (u. a. »Les enfants du capitaine Grant«, 1867-68) viele jugendliche Leser ansprachen, an die sie sich nicht vorrangig richteten, oder die wie Sophie de Ségur (»Les malheurs de Sophie«, 1859), L. Carroll (»Alice's adventures in wonderland«, 1865), Frances E. Burnett (»Little Lord Fauntleroy«, 1886), C. Collodi (»Le avventure di Pinocchio«, 1883) oder J. M. Barrie (»Peter Pan«, aufgeführt 1904) einer spezifischen kindlichen Erlebniswelt Rechnung trugen. Während eine den revolutionären Impulsen der Vormärzliteratur verpflichtete Kinder- und Jugendliteratur nicht zu erkennen ist, bildete sich seit den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts eine lang wirkende biedermeierlich-affirmative Strömung heraus, deren Begründer in Deutschland C. von Schmid ist. Sie verband aufklärerisch-moralisierende Methodik mit religiösem Verkündigungsanspruch und nahm stoffliches Anleihen sowohl beim romantischen Volksgut als auch bei realistischer Gegenwartsthematik und historischen Themen. Eine weitere Komponente bildete die Entstehung einer eigenständigen, an die weibliche bürgerliche Jugend adressierten Literatur, vertreten u. a. durch Thekla von Gumpert (* 1810, ✝ 1897), Ottilie Wildermuth, Mary Osten (* 1815, ✝ um 1890) und Elise Averdieck (* 1808, ✝ 1907). Das hier propagierte konservative Rollenbild mündete später in die »Backfischliteratur« (Clementine Helm, * 1825, ✝ 1896; Emmy von Rhoden, Else Ury). - Nach den poetischen Bilderbüchern der romantischen Kinder- und Jugendliteratur, wie der von L. Richter 1843 illustrierten »Ammenuhr«, erschien mit dem »Struwwelpeter« (1847) H. Hoffmanns das sich stofflich und darstellerisch an der Welt des Kleinkindes orientierende Kinderbuch. Mit W. Buschs »Max und Moritz« (1865) hielt die Bildgeschichte Einzug in die deutsche Kinder- und Jugendliteratur, die auch Vorbild der in den USA entstandenen Comics (»The Katzenjammer Kids«, »Little Nemo in Slumberland«) war. Erschien bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die abenteuerliche Kinder- und Jugendliteratur ausschließlich in didaktischer Absicht, so pflegte nun eine neue Autorengeneration, darunter F. Pajeken, F. Gerstäcker und K. May, den eigenständigen Wert von Exotik und Spannung. Die Kinder- und Jugendliteratur der wilhelminischen Zeit verband beide Intentionen zur gezielten Einflussnahme im »vaterländischen« Sinn. Eher sentimentale Gefühlswerte boten dagegen Johanna Spyris »Heidi«-Erzählungen oder später auch das vom pädagogischen Interesse seiner Verfasserin geprägte und v. a. für die schweizerische Kinder- und Jugendliteratur des 20. Jahrhunderts bedeutende Werk Olga Meyers (»Anneli. Erlebnisse eines kleinen Landmädchens«, 1919). - Gegen diese Tendenzen wandte sich ab dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die »Jugendschriftenbewegung«, deren Programm in Heinrich Joachim Wolgasts (* 1860, ✝ 1920) »Das Elend unserer Jugendlitteratur« (1896) formuliert wurde: Die Jugendschrift müsse in erster Linie ein Kunstwerk und im Übrigen tendenzfrei sein.Von einer »proletarischen Kinder- und Jugendliteratur« lässt sich, im Kontext der kulturellen und didaktischen Bestrebungen der Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg, seit den Anfängen im 19. Jahrhundert sprechen. Mit Märchen, Erzählungen aus der Lebensumwelt und Autobiographien von Arbeitern versuchte man, sozialistisch-humanistische Werte zu vermitteln (Adelheid Popp, * 1869, ✝ 1939, »Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin«, 1909; Jürgen Brand, * 1869, ✝ 1950, »Gerd Wullenweber«, 1915; Carl Dantz, * 1884, ✝ 1967, »Peter Stoll«, 1925; Berta Lask, »Auf dem Flügelpferde durch die Zeiten«, 1924; Lisa Tetzner, »Hans Urian«, 1931). - Prägten außerhalb dieses Bereiches seit der Jahrhundertwende v. a. Jugendstil und Neuromantik (E. Kreidolf, »Die Wiesenzwerge«, 1902) die Kinder- und Jugendliteratur und besonders deren Illustration (Sybille von Olfers, * 1881, ✝ 1916, »Etwas von den Wurzelkindern«, 1906; Ernst Kutzer, * 1880, ✝ 1965; Else Wenz-Viëtor), so erschien mit E. Kästners »Emil und die Detektive« (1929) ein »Roman für Kinder« im Stil der Neuen Sachlichkeit. Nun bestimmte zunehmend die zeitgenössische Erfahrungswelt des jungen Lesers die Stoffe von Schul- und Detektivgeschichten (W. Speyer, »Der Kampf der Tertia«, 1927; W. Matthiesen, * 1891, ✝ 1965, »Das rote U«, 1932; E. Kästner, »Das fliegende Klassenzimmer«, 1933) sowie die Schilderungen sozialer Aufsteiger (H. Dominik, »John Workman, der Zeitungsboy«, 3 Bände, 1921; Wolf Durian, * 1892, ✝ 1965, »Kai aus der Kiste«, 1927). Die hierin hervortretende Großstadtthematik wurde jedoch in der der Blut-und-Boden-Dichtung verpflichteten Kinder- und Jugendliteratur des Nationalsozialismus weitgehend verdrängt. Angepasste oder die nationalsozialistische Ideologie verherrlichende Kinder- und Jugendliteratur repräsentierte v. a. K. A. Schenzingers »Hitlerjunge Quex« (1932). Gegenbilder dazu lieferten u. a. E. Kästner und H. Fallada. Unter den im Exil entstandenen Werken erzielte v. a. K. Helds »Die rote Zora und ihre Bande« (1941) bleibende Wirkung.Die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur seit 1945Neben einer friedensdidaktischen Richtung wie z. B. in E. Kästners »Konferenz der Tiere« (1950) und einem in konfliktfreien Welten verharrenden Jugendschrifttum setzte sich in der BRD, der Schweiz und Österreich v. a. die in den 1920er-Jahren begonnene Rezeption der britischen (Beatrix Potter, K. Grahame, Pamela Travers, A. A. Milne, E. Blyton, J. R. R. Tolkien, C. S. Lewis u. a.) sowie amerikanischen (Laura Ingalls Wilder, F. Baum) Kindererzählung fort. Unter den Übernahmen aus dem Französischen fanden neben A. de Saint-Exupérys »Le petit prince« (1943) v. a. beschauliche Bilderbücher Resonanz. Mit A. Lindgrens »Pippi Långstrump« (1945) kamen aus der skandinavischen Kinder- und Jugendliteratur bedeutsame Anregungen. Zur gleichen Zeit erlebten die historische und die Abenteuererzählung (H. Baumann, H. Kranz) und das erzählende Sachbuch eine Renaissance. Erst später begann die Rezeption osteuropäischer Kinder- und Jugendbuchautoren (z. B. J. Korczak; Josef Lada, * 1887, ✝ 1957; Ota Hofman, * 1928, ✝ 1989). Die zu Beginn der 1960er-Jahre einsetzende »Bewältigungsliteratur« suchte die direkte Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte (Hans P. Richter, * 1926, »Damals war es Friedrich«, 1961). Als eine neue Richtung von fortdauernder Wirkung präsentierten sich unterschiedliche Formen der surreal-komischen Erzählung: Während O. Preussler Motive und Figuren traditioneller Volksliteratur aufgriff (»Die kleine Hexe«, 1957; »Der Räuber Hotzenplotz«, 1962), enthält M. Endes Werk zunehmend mythische Elemente (»Momo«, 1973; »Die unendliche Geschichte«, 1979); J. Krüss pflegt neben der Fantastik mit gesellschaftskritischen Bezügen (»Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen«, 1962) das verspielte Fabulieren und die Nonsenslyrik. J. Guggenmos wurde als Autor von naiv-poetischen und grotesken Kindergedichten bekannt (»Was denkt die Maus am Donnerstag?«, 1967). - Im Bereich des Bilderbuchs fällt in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Einfluss der schweizerischen Künstler (A. Carigiet, Felix Hoffmann, * 1911) auf. Von Pädagogen wegen befürchteter negativer Auswirkungen auf die Lesefähigkeit heftig kritisiert, wurden die Comics zu einem ebenfalls wichtigen Bestandteil der Lektüre von Kindern und Jugendlichen. - Das Bild der Kinder- und Jugendliteratur seit Beginn der 1970er-Jahre bestimmten unterschiedliche Schattierungen des Realistischen wie des Fantastischen. Texte von Ursula Wölfel (* 1922), P. Härtling, F. Hetmann, Irina Korschunow sowie Mira Lobe und Renate Welsh in Österreich suchen Bruchstellen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit und machen Widersprüche deutlich, ohne fertige Lösungen zu offerieren; P. Maar (»Eine Woche voller Samstage«, 1973) und Christine Nöstlinger (»Wir pfeifen auf den Gurkenkönig«, 1972) bieten surreal verfremdete Ansichten des Alltags. M. Kruses »Urmel«-Geschichten (1969-75) verbinden amüsante Unterhaltung mit belehrenden Elementen. Autoren aus der Schweiz, z. B. P. Bichsel (»Kindergeschichten«, 1969), F. Hohler (»Der Granitblock im Kino«, 1981), H. Manz und Lukas Hartmann (*1944), schlagen mit ihren Werken Brücken zwischen Kinder- und Jugendliteratur sowie der Erwachsenenliteratur. Während die Übersetzung der angelsächsischen Fantasyliteratur wesentlichen Einfluss auf die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur an der Wende zu den 1980er-Jahren ausübte, suchten Autoren wie Dietlof Reiche (* 1941, »Bleisiegelfälscher«, 1977), Willi Fährmann (* 1929, »Der lange Weg des Lukas B.«, 1980), Klaus Kordon (»Eine Stadt voller Bäume«, 1980), Gudrun Pausewang (»Die letzten Kinder von Schewenborn«, 1983; »Die Wolke«, 1987), J. Pestum, Gudrun Mebs, in Österreich u. a. Renate Welsh und Käthe Recheis (* 1928) mit problemorientierten Werken das Interesse der jugendlichen Leser zu erreichen.Die Anfänge der Kinder- und Jugendliteratur der DDR wurden von den Impulsen aus Exil und Widerstand gegen den Nationalsozialismus getragen. Sie wurden wesentlich bestimmt durch die Werke von Friedrich Wolf, Alex Wedding, Auguste Lazar (* 1887, ✝ 1970), L. Renn u. a. sowie durch Übersetzungen aus dem Russischen (u. a. A. P. Gajdar). Neben vordergründig die SED-Ideologie propagierenden Werken entstanden schon bald realistische Kinder- und Jugendbücher, die abenteuerliche Handlungen mit humanistischen Zielsetzungen verbanden (Liselotte Welskopf-Henrich; Willi Meinck, * 1914; Götz R. Richter, * 1923). E. Strittmatters »Tinko« (1954) steht am Beginn des zeitgeschichtlich realistischen Kinderbuchs in der DDR. Seit den 1960er-Jahren bezog eine jüngere Autorengeneration (B. Pludra, A. Wellm, J. Wohlgemuth, * 1932) zunehmend individuelle Konflikte sowie Alltagsstoffe ein; mit der Vergangenheitsbewältigung befassen sich Jugendbücher von Karl Neumann (* 1916, ✝ 1985), Horst Beseler (* 1925) und D. Noll. Große Popularität erlangten die humorvollen Bücher von Ottokar Domma (* 1924, eigentlich Otto Hauser) und Gerhart Holtz-Baumert (* 1927, ✝ 1996), für das Erstlesealter die Geschichten von F. Rodrian (* 1926, ✝1985) und Elizabeth Shaw (* 1920, ✝ 1992); aber auch Übersetzungen insbesondere aus dem Tschechischen (Ondřej Sekora, * 1899, ✝ 1967; Josef Menzel), dem Russischen (W. Nossow, * 1908, ✝ 1976; Aleksandr M. Wolkow, * 1891, ✝ 1977) und dem Estnischen (Eno Raud, * 1928) waren beliebt. Zahlreiche Nacherzählungen erschlossen große Werke der Weltliteratur für Kinder, vorbildhaft v. a. von F. Fühmann (u. a. »Das Nibelungenlied«, 1971). Neben die Neuentdeckung des Fantastischen und des poetischen Spiels (Hannes Hüttner, * 1932, »Das Blaue vom Himmel«, 1971; F. Fühmann, »Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm zu Babel«, 1978; Christa Kożik, * 1941) trat seit den 1970er-/80er-Jahren eine verstärkte Auseinandersetzung mit Alltagsproblemen und erstarrten Konventionen der sozialistischen Gesellschaft, nicht selten mit tragischem Verlauf (Günter Görlich, * 1928, »Den Wolken ein Stück näher«, 1971; U. Plenzdorf, »Die neuen Leiden des jungen W.«, Prosafassung 1972; B. Pludra, »Insel der Schwäne«, 1980; G. Saalmann, »Umberto«, 1987).Die politischen Veränderungen und die Ausbreitung der neuen Medien in den 1990er-Jahren bewirkten einen grundlegenden Wandel von Struktur und Funktionen der Kinder- und Jugendliteratur. Ob Comics (W. Moers, »Käptn Blaubär«; Naoko Takeuchi, * 1967, »Sailor Moon«), Bilderbücher (Janosch, Helme Heine, * 1941, »Freunde«, »Tabaluga«), Begleitbücher zu Serien, Filmen oder Computerspielen - ein Großteil der Kinder- und Jugendliteratur ist heute Bestandteil der Massenunterhaltungskultur und wird vielseitig vermarktet: Erfolgreiche Bücher werden verfilmt (Joanne K. Rowlings spektakulärer Erfolg der »Harry-Potter«-Reihe, 1998 - 2000), Klassiker durch aufwendige Verfilmungen wieder belebt (J. R. R. Tolkien, »Der Herr der Ringe«), Verlage bieten Fanseiten und Chatclubs im Internet an. Neben dieser äußerst erfolgreichen, eng mit anderen Medien verbundenen Unterhaltungsliteratur versuchte die Kinder- und Jugendliteratur in den letzten Jahren, ihre Bedeutung als Bildungsmedium auszubauen. Als Leseanfängerliteratur dient sie dem Erlernen der Kulturtechnik Lesen. Der stark angewachsene Sachbuchbereich zeichnet sich durch dokumentarische, journalistische Erzählformen aus und hat - wie auch belletristische Jugendbücher - oft einen informierenden, analysierenden Charakter. Daneben unterstreichen anspruchsvolle Gattungen (z. B. der psychologische oder philosophische Kinderroman), die stilistisch der Erwachsenenliteratur nahe stehen, das Bemühen der Kinder- und Jugendliteratur, sich nicht auf die Begleitfunktion der Medienverbundliteratur zu beschränken (J. Gaarder, »Sofies Welt«). Mit der Betonung der Bildungsaufgabe rückt die Kinder- und Jugendliteratur damit nach dem Prozess der Emanzipation von didaktischen Intentionen wieder zurück in die Nähe der Pädagogik. Thematisch präsentiert sich die Kinder- und Jugendliteratur heute äußerst vielgestaltig. Abenteuerbücher und Kinderkrimis (Eoin Colfer, * 1965; H. Mankell, Annika Thor, * 1950) haben sich - oft in Reihenformat (Thomas Brezina, * 1963, »Die Knickerbocker-Bande«) - einen ebenso festen Platz erobert wie vormals tabuisierte Themen (Pubertät, Erotik, Tod, Ausländerfeindlichkeit, sexuelle u. a. Gewalt). In den 1970er-Jahren verdrängte Formen wie der komische Familienroman oder die heile Kinderbuchwelt der 1950er-/60er-Jahre mit ihren spannungs- und effektvollen Handlungsmustern erfreuen sich wieder großer Beliebtheit (Kirsten Boie, * 1950; C. Nöstlinger, Cornelia Funke, * 1958). International erfolgreich sind am Beginn des 21. Jahrhunderts v. a. Sciencefiction- und Fantasyromane (Wolfgang Hohlbein, * 1953, »Die Chronik der Unsterblichen«; Philip Pullman, * 1946, »Der goldene Kompass«; Kai Meyer, * 1969, »Sieben Siegel«), viele mit linearen Handlungen und einfachen Strukturen, welche zunehmend die realistische Kinder- und Jugendliteratur verdrängen. Sowohl Bilderbücher von Anna Clara Tidholm (* 1946), Jutta Bauer (* 1955, »Opas Engel«), Hans de Beer (* 1957, »Der kleine Eisbär«), Sven Nordqvist (»Pettersson und Findus«), als auch Kinder- und Jugendbücher von Mirjam Pressler, Jutta Richter (* 1955), Andreas Steinhöfel (* 1962), Mats Wahl (* 1945) setzen mit ihren fantasievollen, sensiblen, teils kritischen, teils amüsanten Geschichten neue Akzente in diesem Trend.H. L. Köster: Gesch. der dt. Jugend-Lit. (41927, Nachdr. 1972);G. Klingberg: K.- u. J.-Forschung (a. d. Schwed., 1973);Studien zur Gesch. der dt. K.- u. J., auf 14 Bde. ber. (1974 ff.);K. Doderer: Klass. Kinder- u. Jugendbücher (31975);Ansätze histor. Kinder- u. Jugendbuchforsch., hg. v. A. C. Baumgärtner (1980);M. Dahrendorf: Das Mädchenbuch u. seine Leserin (41980);Lex. der K.- u. J., hg. v. K. Doderer: , 4 Bde. (Neuausg. 1984);D. Grenz: Mädchen-Lit. (1981);W. Pape: Das literar. Kinderbuch (1981);M. Sahr: Wirkung von Kinder-Lit. (1981);Hb. zur K.- u. J., hg. v. T. Brüggemann u. a., 3 Bde. (1982-91);K.- u. J. Ein Hb., hg. v. G. Haas (31984);H. Wegehaupt: Alte dt. Kinderbücher. Bibliogr. 1851-1900 (Berlin-Ost 1985);Märchen u. Mühsal. Arbeit u. Arbeitswelt in Kinder- u. Jugendbüchern aus drei Jh., hg. v. N. Hopster (1988);S. Bartke: Kinderfernsehen u. Kinder-Lit. (1992);Karl E. Maier: Jugend-Lit. (1993);Literar. u. didakt. Aspekte der phantast. K.- u. J., hg. v. G. Lange u. a. (1993);W. Kaminski: Einf. in die K.- u. J. (31994);K. Leutheuser: Freie, geführte u. verführte Jugend. Die Entwicklung politisch motivierter Jugend-Lit. zw. 1919 u. 1989 (1995);K.- u. J. Ein Lex., hg. v. A. C. Baumgärtner u. a., Losebl. (1995-99);K.- u. J. in Deutschland, hg. v. R. Raecke (1999);H. -H. Ewers: Literatur für Kinder und Jugendliche (2000);A. Klotz: K.- u. J. in Deutschland 1840-1950. Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen in deutscher Sprache (1990-2000);Z. Fuss Phillips: German Children's and Youth Literature in Exile 1933-1950. 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Universal-Lexikon. 2012.